SDGs im Kleiderschrank – Warum eine #Textilwende dringend nötig ist

Unter dem Hashtag #WardrobeChange bzw. #Textilwende fordert eine Kampagne des Projekts Make Europe Sustainable For All Führungspersonen der EU dazu auf, die Textilindustrie radikal umzugestalten. Eine Umsetzung gleich mehrerer der 17 UN Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) ist eng an die Produktionsverhältnisse und Konsumgewohnheiten des Sektors gebunden, weshalb konkrete Maßnahmen auf institutioneller Ebene dringend nötig sind.

Ein Beitrag von Caroline Krecké

Die Textilindustrie wird weltweit mit einem Wert von 3 Billionen Dollar beziffert (das entspricht 2 % des globalen BIP) und beschäftigt mehrere Millionen Menschen. In Europa alleine sind etwa 1,7 Millionen Menschen im Textilsektor beschäftigt. Die Produktion und Veredelung von Kleidung sind jedoch mit zahlreichen sozialen und ökologischen Problemen behaftet: Die Europäische Umweltagentur betont in einem neuen Forschungsbericht vom Dezember 2019, dass Textilien die viertgrößte Ursache für Umweltbelastungen und den zweitgrößten Faktor für Flächenverbrauch darstellen. Zudem leistet der Sektor den fünftgrößten Beitrag zu CO2-Emmissionen. Insgesamt sind die jährlich produzierten 1,2 Milliarden Tonnen CO2 der Textilproduktion sogar höher als alle Treibhausgas-Emissionen des internationalen Flug- und Schifftransports gemeinsam

Problematisch sind aus ökologischer Sicht – neben Emissionswerten und Energieverbrauch – insbesondere der hohe Wasserbedarf, die Verwendung von Pestiziden im Anbau und der generell umfangreiche Chemikalieneinsatz. Durch Flächenkonkurrenz ergeben sich außerdem zahlreiche Landnutzungskonflikte und ein wesentlicher Zusammenhang mit Ernährungssicherheit. Schnell wird offensichtlich, dass Effizienzgewinne der Produktion alleine nicht ausreichen werden, um die zahlreichen SDGs in Zusammenhang mit der Textilindustrie zu erreichen (zum Vergrößern auf die Grafik klicken):

SDGs in Zusammenhang mit der Textilindustrie (Zum Vergrößern klicken), Grafik: ÖKOBÜRO

SDGs in Zusammenhang mit der Textilindustrie (Grafik: ÖKOBÜRO)

Mikroplastik aus der Waschmaschine

Grund zur Sorge bereitet auch die gewöhnliche Nutzung von Textilien: Denn durch das Waschen geben manche Kleidungsstücke Plastikpartikel an das Wasser ab – sogenanntes Mikroplastik. Insgesamt landen so etwa eine halbe Tonne jährlich im Abfluss (das sind 16x mehr als Mikroperlen aus Kosmetika). Derzeit wird Mikroplastik noch nicht umfassend aus dem Abwasser gefiltert und bedroht somit Süßgewässer und Meere – und letztlich auch den Menschen.

Textillager Deponie

Billige Mode, wechselnde Trends, mangelnde Textilienqualität und das durch Werbung verstärkte Bedürfnis nach Fast Fashion: Verschiedene Faktoren führen dazu, dass Kleidungsstücke häufig früher entsorgt werden als notwendig, wodurch ein enormes Abfallaufkommen bedingt wird – und das ohne wirksames Recycling: Von den Rohstoff-Fasern für die Kleidungsproduktion werden ganze 87 % verbrannt oder in Deponien gebracht. Dies stellt einen massiven Verlust von Ressourcen dar und erschwert so zusätzlich einen effizienten Umgang mit Flächen und Emissionen.

Soziale Produktionsfaktoren

Darüber hinaus sind die Produktionsstandorte der Textilbranche häufig von problematischen sozio-ökonomischen Faktoren geprägt: spärliche bis inexistente Rechte von ArbeitnehmerInnen, gefährliche Arbeitsbedingungen, Menschenrechtsverletzungen, Bezahlung am Existenzlimit. Beispielhaft für Arbeitssicherheit und menschenwürdige Arbeit kann z.B. der medial präsente Brand einer Textilfabrik in Bangladesch 2012 genannt werden. Der Verkaufspreis eines Kleidungsstücks alleine sagt dabei wenig über dessen Produktionsbedingungen aus, insbesondere da einzelne Standorte teilweise aufgrund von Sub-Verträgen nicht von Prüfungen erfasst werden. Erschwerend kommt hinzu, dass mehr als drei Viertel der Arbeitskräfte, die unsere Kleidung produzieren, Frauen sind.

Sujets der Kampagne #WardrobeChange bzw. #Textilwende

Mangelnde Transparenz und Label-Dschungel

Zahlreiche Labels widmen sich diesen Problemen, jedoch herrscht mangelnde Transparenz und Aufklärung darüber, welche Gütezeichen tatsächlich bessere Bedingungen sicherstellen. Die Clean Clothes Campaign setzt sich seit 1989 (in Österreich seit 1996) dafür ein, die arbeitsrechtlichen Grundlagen der Bekleidungsindustrie zu ändern und argumentiert, dass das Menschenrecht auf gerechte Entlohnung zur Sicherung der Existenz (AEM, Artikel 23) systematisch verletzt werde. KonsumentInnen bietet die Kampagne umfassende Informationen an: Übersichtliche Beurteilungen einzelner Modefirmen und Kompaktinformationen über Labels dienen dazu, sich bewusster für Alternativen entscheiden zu können.

Kreislaufwirtschaft im österreichischen Regierungsprogramm

Das 2020 veröffentlichte Regierungsprogramm für Österreich enthält umfassende Vorhaben für eine effektive Kreislaufwirtschaft und zielt auf eine stärkere Ausrichtung nationaler Maßnahmen am „Green New Deal“ der EU-Kommission ab:
Angesprochen werden notwendige längere Lebenszyklen, eine Weiterentwicklung und Umsetzung des Abfallvermeidungsprogramms, das Fördern von Reparaturen, einen Aktionsplan gegen Mikroplastik, eine Verringerung von Plastik (inkl. einer gesetzlichen Verankerung einer 20-prozentigen Reduzierung von Plastikverpackungen) u.v.m.  Außerdem möchte sich die Regierung auch auf europäischer Ebene stärker für konkrete Maßnahmen einsetzen, beispielsweise für ein Verbot von Mikroplastik in der Produktion (Details: Regierungsprogramm, S.10-12 sowie 140-149).

Das Kampagnenvideo zu #WardrobeChange - #Textilwende

Wandel gemeinsam einfordern

Die ambitionierten Pläne der Regierung sind, sofern sie tatsächlich umgesetzt werden, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch es sind dringend nationale, europäische und globale politische Maßnahmen gefragt, um Nachhaltigkeit in Produktion und Konsum der Textilindustrie zu bringen und die SDGs zu erreichen. Fordern wir gemeinsam, dass auf den durch Kommissionspräsidentin von der Leyen angekündigten „Green New Deal kohärentes Handeln folgt – denn eine #Textilwende ist längst überfällig.  

ÖKOBÜRO engagiert sich gemeinsam mit zahlreichen weiteren AkteurInnen im Zuge der Kampagne  #WardrobeChange als Teil des EU-Projekts Make Europe Sustainable For All (alle zugehörigen Aktivitäten und Neuigkeiten werden auf der Website der Kampagne veröffentlicht).

Bei SDG Watch Austria arbeitet zudem eine eigene Themeninitiative zum Thema Nachhaltiges Wirtschaften. Der Themeninitiative gehören beispielsweise die Organisationen Repanet, Gemeinwohlökonomie, Forum Tomorrow und FuturAbility an, die unter anderem Unternehmen dabei unterstützen, bei ihren Tätigkeiten stärker auf Nachhaltigkeit zu setzen.

Was kann ich tun?

  • Informationen verbreiten – denn Aufklärung über die versteckten Kosten der Textilindustrie für Mensch und Umwelt ist dringend nötig. Teile z. B. das Video der #WardrobeChange-Kampagne auf Social Media und erzähle deinen FreundInnen vom Firmencheck der Clean Clothes Campaign  oder dem Labelratgeber.
  • Setze auf Wiederverwendung und Reparatur:
    • Organisiere doch statt des nächsten Shopping-Trips eine Kleidertausch-Party mit FreundInnen
    • Stöbere in lokalen Second-Hand-Geschäften anstatt Kleidung online zu bestellen
    • Gibt es dein gewünschtes Produkt vielleicht auf einer Seite für Kleinanzeigen gebraucht zu kaufen?
    • Nimm Reparaturservices in Anspruch oder besuche Repair-Cafés bzw. DIY-Werkstätten
  • Achte auf faire Produktionsstandards: Zahlreiche Internetseiten geben Auskunft über fair produzierte Marken und Bekleidungsgeschäfte in deiner Nähe.

Weiterführende Links

EU-Projekt Make Europe Sustainable For All
Kampagne #Wardrobe Change
Clean Clothes Campaign Österreich
Textilien-Material im Vergleich (Englisch)
Umfassende Informationen zu Umweltbelastungen durch die Textilproduktion
Umweltstandards in der Textil- und Schuhbranche
Umweltberatung: Textilieneinkauf
Umweltberatung: Second Hand
Umweltberatung: Reparatur-Services

Update April 2020: Eine Version dieses Artikels mit Schwerpunkt auf dem European Green Deal wurde hier veröffentlicht: Mit dem European Green Deal zur #Textilwende?