Interview: Umsetzung der Agenda 2030 in Finnland

Interview mit Annika Lindblom, u.a. stellvertretende Leiterin des Umweltministeriums in Finnland, zur Umsetzung der Agenda 2030 in ihrem Land

Beitrag von SDG Watch Austria

SDG Watch Austria im Gespräch mit Annika Lindblom, der Generalsekretärin des Nationalen Ausschusses für Nachhaltige Entwicklung und Beraterin für internationale Angelegenheiten sowie stellvertretenden Leiterin des Umweltministeriums von Finnland, über die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in ihrem Land. Wir wollten mehr über die wesentlichen Herausforderungen und Erfolgsfaktoren im Zusammenhang mit der Agenda 2030 erfahren. Lesen Sie hier ihre Antworten:

Finnlands Ansatz für eine erfolgreiche Umsetzung

Die Förderung des Themas „nachhaltige Entwicklung“ in der Regierungspolitik und der öffentlichen Diskussion hat in Finnland lange Tradition. Der Nationale Ausschuss für Nachhaltige Entwicklung, dem eine Reihe unterschiedlicher Interessenvertreter angehören, arbeitet seit seiner Einsetzung im Jahr 1993 ohne Unterbrechung – und das unter der Leitung von bislang zehn verschiedenen Regierungen sowie sieben Premierministern unterschiedlicher Parteien sowie etwa 40 Nichtregierungsmitglieder. Das Büro des Premierministers koordiniert die Arbeit anhand der sektoralen Schwerpunkte für nachhaltige Entwicklung, die seitens der einzelnen Fachministerien eingebracht werden. Die politischen Prioritäten und aufkommenden Problemstellungen mögen sich im Laufe der Zeit verändert haben. Das übergeordnete Ziel jedoch – die Einbeziehung des Aspekts der nachhaltigen Entwicklung in die Konzepte, Maßnahmen und Praktiken des Landes – ist seit 25 Jahren lebendiger Alltag.

Diese dauerhafte, auf höchster Ebene geleistete und stark institutionalisierte Arbeit für nachhaltige Entwicklung hat maßgeblich dazu beigetragen, dieses Thema hoch oben auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda Finnlands zu halten. Auch der recht schnelle Wechsel Finnlands in den „Umsetzungsmodus“ schon kurz nach Verabschiedung der Agenda 2030 im Jahr 2015 ist nicht zuletzt dieser engagierten Arbeit zuzuschreiben. 

Die Agenda 2030 als Projekt, das alle ins Boot holt
Ein weiterer Baustein des Erfolgs: die innovative Einstellung und Herangehensweise der Verwaltungsbehörden bei der Gestaltung von Tools und Maßnahmen, die die Agenda 2030 zur Angelegenheit ausnahmslos aller Bürgerinnen und Bürger des Landes gemacht haben. So forderte nicht allein der Nationale Ausschuss für Nachhaltige Entwicklung die politisch Verantwortlichen auf, aktiv zu handeln – auch ein multidisziplinäres Expertengremium aus acht Professoren sowie die Jugendgruppe Agenda 2030, bestehend aus 20 jungen Beauftragten für Nachhaltige Entwicklung, haben die Arbeit des Nationalen Ausschusses unterstützt. Das jüngst eingerichtete Tool zur intensiven Förderung und Umsetzung konkreter Maßnahmen und Innovationen rund um das Thema nachhaltige Entwicklung trägt den Namen „Society's Committment to Sustainable Development“ (Gesellschaftliches Engagement für nachhaltige Entwicklung). Es skizziert einen langfristigen, d.h. bis zum Jahr 2050 reichenden Strategierahmen für nachhaltige Entwicklung für die Gesellschaft Finnlands und gibt gleichzeitig allen Menschen des Landes, die sich mit konkreten Aktionen an der Umsetzung der Agenda 2030 beteiligen wollen, entsprechende Funktionen. Bislang sind bereits mehr als eintausend Versprechen zur Mitwirkung aus allen Bereichen der Gesellschaft eingegangen. Unternehmen der Privatwirtschaft wie auch Schulen zählen dabei zu den aktivsten Partnern.

Staatliche Verantwortung als Schlüssel für Engagement
Gesellschaftliches Engagement ist möglich, wenn Regierung und öffentliche Hand ihrer Führungsrolle gerecht werden und Verantwortung für die Umsetzungsmaßnahmen übernehmen. Im Februar 2017 hat die Regierung Finnlands einen Nationalen Umsetzungsplan für die Agenda 2030 verabschiedet. Des Weiteren hat sie die Berücksichtigung der Ziele für nachhaltige Entwicklung in ihren Jahresbericht an das Parlament aufgenommen und nachhaltige Entwicklung in der Haushaltsplanung des Landes etabliert. Unter der Leitung des Finanzministeriums wurde dem Parlament im September 2018 zudem ein Vorschlag für den Haushalt 2019 vorgelegt, der den Punkt „nachhaltige Entwicklung“ umfassend berücksichtigt – ein wichtiger Schritt auf dem Weg, diesen Aspekt in allen Politik- und Finanzbereichen fest zu verankern.

Die größte Herausforderung: Erwartungen erfüllen
Jetzt, da die Führungsstrukturen, Strategietools und Mitwirkungsmechanismen für eine nachhaltige Entwicklung eingerichtet sind, stehen hohe Erwartungen hinsichtlich entsprechender Wirkungen und Ergebnisse im Raum. Die größte Herausforderung besteht somit darin, diese Erwartungen zu erfüllen: Wie ist zu gewährleisten, dass dieses Modell Strategien und Maßnahmen hervorbringt, die zu einem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Wandel Finnlands hin zu mehr Nachhaltigkeit führen? Und wie stellt man das hohe Interesse und Engagement für nachhaltige Entwicklung über die jeweilige Legislaturperiode sicher?

Künftige Schritte: Evaluierung und Fazit
Um die Effizienz des finnischen Governance-Modells zum Thema „nachhaltige Entwicklung“ und die auf nationaler Ebene erzielten Umsetzungsergebnisse zur Agenda 2030 zu bewerten, hat das Büro des Premierministers im Herbst 2018 diesbezüglich einen externen Evaluierungsprozess beauftragt. Die Ergebnisse dieser Evaluierung werden im Februar 2019 veröffentlicht – zum einen als Diskussionsleitfaden mit Blick auf die für April anstehenden nationalen Parlamentswahlen, zum anderen, um zu gewährleisten, dass die neue Regierung evidenzbasiert und zeitnah über die Stärken und Schwächen der nachhaltigen Entwicklung in Finnland informiert ist. Zudem wird diese Evaluierung umfassende Daten und Analysen rund um Finnlands nächste freiwillige nationale Überprüfung hinsichtlich der Umsetzung der Agenda 2030 liefern, die im Juli 2020 dem Hochrangigen Politischen Forum (HLPF) der Vereinten Nationen vorzulegen ist.

BILD: United Nations photo service/Natalia Mroz

Lesen Sie hier das Interview in englischer Originalsprache.