Bericht zur SDG-Online-Konferenz: Business as Usual keine Option

„COVID-19 dient als Vergrößerungsglas, das uns dabei hilft, noch viel klarer zu sehen, wo die Probleme sind – sei es ökologischer oder sonstiger Natur", erklärt Petra Bayr. (Bild: „fox" via Pexels)

"Business as Usual ist keine Option mehr - Transformation muss sich an SDGs orientieren"

Bei der ersten SDG-Online-Konferenz von SDG Watch Austria diskutierten Entscheidungstragende aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam mit rund 280 Teilnehmenden über die Bedeutung der Agenda 2030 als Weg aus der Coronavirus-Krise. 

Ein Beitrag von SDG Watch Austria

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler eröffnete die Online-Konferenz per Videobotschaft während zeitgleich der Ministerrat Österreichs den ersten Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 (Freiwilliger Nationaler Umsetzungsbericht/FNU) beschloss. Dazu hielt Gewessler fest: „In diesem Bericht haben wir festgehalten, dass sich alle Bemühungen zum Wiederaufbau und zur Genesung unserer Gesellschaft an den Zielen der Agenda 2030 orientieren müssen.“

Grußbotschaft von Bundesministerin Leonore Gewessler

Mit Blick auf COVID-19 betonte die Bundesministerin: „Die Klimakrise, das Artensterben, die Auswirkungen sozialer Ungerechtigkeit: All das macht keine Pause." Deshalb brauche es „eine andere Politik” auf dem Weg aus der Krise, nämlich „Solidarität statt jeder für sich”, „Regionalität, aber nicht anhand von nationalen Grenzen“, "Kreislaufwirtschaft statt einem ewigen Wettkampf um Ressourcen" sowie „ein starkes, solidarisches Europa, das auch wieder Produktionsstandort wird für innovative, ressourcenschonende und klimafreundliche Wirtschaft". Die Agenda 2030 und die SDGs sollen dabei „ein Kompass sein”.

Weitermachen wie bisher ist keine Option

Annelies Vilim, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung und Mitgründerin von SDG Watch Austria

Annelies Vilim, Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung und Mitgründerin von SDG Watch Austria, stellte in ihrer Begrüßung klar: „Weitermachen wie bisher ist keine Option.“ So brauche es die gleichwertige Beachtung und Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Aspekte bei politischen Entscheidungen. "Die Umsetzung der Agenda 2030 und ihrer Ziele ist DER Schlüssel aus der Krise und unser Kompass für die notwendige Transformation unserer Gesellschaft", so Vilim.

Außerdem warf sie zu Beginn der Konferenz wichtige Fragen auf: „Wann, wenn nicht jetzt, haben wir die Möglichkeit, alte Strukturen zu hinterfragen und neu anzuordnen? Wann, wenn nicht jetzt, können wir die Probleme unserer Gesellschaft und der Umwelt bei ihren Wurzeln anpacken?"

Impuls I: Reduktion sozialer Ungleichheit - Perspektivenwechsel in den globalen Süden

Karin Fischer, Soziologin an der Johannes Kepler Universität Linz

„Corona ist ein Ungleichheitsvirus“, meinte Karin Fischer, Soziologin an der Johannes Kepler Universität Linz, zu Beginn ihres Vortrags, „wobei die Hauptlast des wirtschaftlichen Abschwungs die Menschen im Globalen Süden zu tragen haben.“ Bestehende Ungleichheiten fußen vor allem auf ungleichen Machtstrukturen, der bestehenden Freihandelslogik unter ungleichen Partnern sowie illegitimen Finanzströmen und Steuersparmodellen großer Konzerne, so Fischer. Was es daher brauche seien Schuldenerlass-Initiativen, den Schutz armer Länder vor Billigimporten und Sicherung von Ernährungssouveränität im Rahmen von EU-Freihandelsverträgen sowie Steuertransparenz von Konzernen und ein gezieltes Vorgehen gegen Schattenfinanzzentren. Gleichzeitig seien eine generelle Demokratisierung und ein Mitspracherecht der ärmsten Länder der Welt im Rahmen von Verhandlungen zu stärken.

Die gesamte Präsentation steht hier zum Download zur Verfügung.

Impuls II: Kann die gegenwärtige Krise als „Window of Opportunity“ jetzt genutzt werden, um nachhaltige, klimaneutrale Wirtschaftsweisen umzusetzen?

Angela Köppl, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung Wien (WIFO)

Angela Köppl vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung Wien (WIFO) referierte anschließend über Klimawandel und Konjunkturpakete im Kontext von COVID-19. Sie plädierte dafür, die Erfahrungen aus der aktuellen Krise über die Verwundbarkeit des Wirtschaftssystems zur Vermeidung weiterer Krisen, allen voran der Klimakrise, zu nutzen. „Die staatlichen Maßnahmen zur Bewältigung der COVID-19-Krise müssen zur Abmilderung des Klimawandels beitragen und unser Wirtschaftssystem weniger verletzlich machen“, so Köppl. Was es brauche sei „mehr Resilienz, innovative Systeme, das Überdenken unseres Wohlstands (nicht nur gemessen am BIP). Dabei sollen das Pariser Klimaabkommen sowie der Green Deal Leitlinien sein“, betonte Köppl.

Die gesamte Präsentation steht hier zum Download zur Verfügung.

Impuls III: Was können wir aus der globalen Gesundheitskrise lernen? Wechselwirkungen zwischen Gesundheitssystem und SDGs

Clemens Auer, Sonderbeauftragter für Gesundheit im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz

Als Sonderbeauftragter für Gesundheit im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz beleuchtete Clemens Auer das Thema Nachhaltigkeit aus der Gesundheitsbrille und hielt dazu anfangs fest: „Es gibt mehrere Krisen, die sich auf verschiedenste Art und Weise auf die Gesundheit niederschlagen.“  Unter anderem zu nennen seien die Verteilungsfrage und die aktuellen ökologischen Krisen, ausgelöst durch die vorherrschende Wirtschaftsweise. Dabei sieht Auer eine wichtige Rolle in der Agenda 2030, um die Probleme jahrzehntelanger neoliberaler Wirtschaftspolitik zu lösen: „Für mich sind die SDGs ein idealer ordnungspolitischer Rahmen, der das Potenzial hat, eine kraftvolle Antwort auf 30 Jahre Reagonomics und Thatcherismus zu geben."

Zur aktuellen Corona-Pandemie meinte der Experte: „Die Welt war nicht gut auf COVID-19 vorbereitet. Wir wissen wahnsinnig wenig über Influenza oder Coronaviren. Das wurde in der Forschung der letzten 20 Jahre sträflich vernachlässigt. Daher braucht es einen massiven Forschungspush für virale Erkrankungen.“

Podiumsdiskussion: Innovation statt Business as Usual – Lösungsstrategien der Agenda 2030 nach COVID-19

Bei der hochkarätigen Podiumsdiskussion diskutierten am Nachmittag VertreterInnen von Parlament, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft Potential und Lösungsstrategien der Agenda 2030 nach COVID-19.

Podiumsdiskussion: „Innovation statt Business as Usual"

Einbeziehung des Parlaments: Idee einer überparteilichen Initiative

SPÖ-Abgeordnete Petra Bayr stellte zu Beginn klar: „COVID-19 dient als Vergrößerungsglas, das uns dabei hilft, noch viel klarer zu sehen, wo die Probleme sind – sei es ökologischer oder sonstiger Natur. Diese Erkenntnis soll für die Entwicklung einer langfristige Perspektive, die über einzelne Legislaturperioden hinausgeht, genutzt werden."

Wichtige Maßnahmen zur Umsetzung der Agenda 2030 seien eine zumindest 2-jährige Berichterstattungspflicht der Regierung an das Parlament inklusive eines Vorhabenberichts sowie ein öffentlich einsehbares Stock-taking zu den SDGs wie ein „SDG-Fitnesscheck“. Man könne z.B. im Vorblatt eines jeden Gesetzes die positiven wie negativen Auswirkungen des Gesetzes zu den einzelnen SDGs festhalten. Zielkonflikte müssen ausschussübergreifend angegangen werden. Hier könne die Agenda 2030 als Richtschnur dienen, betonte Abgeordnete Bayr. „Die SDGs sind noch nicht bekannt genug, auch noch nicht im Parlament“, stellte sie des Weiteren fest. Dem pflichtete ÖVP-Abgeordnete Carmen Jeitler-Cincelli bei: „Es braucht ein breites Verständnis der SDGs." Auch ihrer Meinung nach sollen die SDGs in allen Ausschüssen behandelt werden, da sie einen übergreifenden Rahmen bilden. Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien, bestärkte den Ansatz eines SDG-Fitnesschecks und führte die bereits bestehenden Forderungen nach einer Sozial- und Umweltverträglichkeitsprüfung an.

Der Publikumsvorschlag einer überparteilichen Initiative im Parlament fand große Zustimmung bei den Abgeordneten Carmen Jeitler-Cincelli und Petra Bayr sowie bei Thomas Alge von SDG Watch Austria. So könne gemeinsam Dynamik erzeugt werden.

Mehr Dynamik durch strategische & sektorenübergreifende Zusammenarbeit

Aus Sicht der Wissenschaft hielt auch Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien fest: „Corona hat eine neue Perspektive geschaffen und die Klima- und Umweltkrise wie in einem Brennglas noch verstärkt." Laut Essl stellen sich derzeit grundlegende Fragen der Neugestaltung unserer Wirtschaft und Gesellschaft, wobei es hier ganz wesentlich sei, "diese Antwort auf die Coronakrise so auszugestalten, dass sie ökologisch und sozial verträglich ist.“ Was es dafür brauche sei ein politischer Wille und eine Vision, die auch politisch transportiert wird, so Essl. Dieser wünscht sich einen politischen Prozess in den kommenden Monaten zur Entwicklung einer Leitlinie mit klaren Zeitpunkten bis 2030, 2040, 2050 und zur Ausgestaltung nachhaltiger Rahmenbedingungen für Österreich. "Daran können sich Unternehmen wie Gesellschaft orientieren. Das muss auch ein Prozess sein, der zivilgesellschaftliche Akteure miteinbezieht", erläuterte Essl.

Auch Thomas Alge, Geschäftsführer von ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung und Mitbegründer von SDG Watch Austria, sieht  die Konkretisierung der SDG-Umsetzung durch Zeitpläne, klare Verantwortlichkeiten und konkrete Maßnahmen als essenziell für einen erfolgreichen Umsetzungsprozess und betonte neben der Einbindung des Parlaments auch jene der Wissenschaft: „COVID-19 verschärft bestehende Probleme und schafft teils neue. Positiv zu vermerken ist aber, dass die Wissenschaft einen höheren Stellenwert als Basis für politische Entscheidungen hat. Dies sollte auch in Zukunft genutzt werden für andere Herausforderungen.“ Die Agenda 2030 regele zentrale politische Ziele, die es für einen nachhaltigen Weg aus der Krise zu nutzen gelte. Dafür brauche es vor allem einen politischen Willen und mehr Bewusstsein für die SDGs, so Alge.

Um einen Multi-Stakeholder-Prozess bemühe sich auch Abgeordnete Bayr. Sie will „Brücken schlagen zwischen Wissenschaft und Politik, um evidenzbasierte Politik im Sinn der SDGs zu machen.“

Wirtschaftliche Transformation oder Business as Usual?

Abteilungsleiterin Irene Janisch vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort plädierte für innovative und mutige Maßnahmen für ein starkes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Es müsse „Nachfrage geschaffen werden, wo es auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten Sinn macht“. Dies sei beispielsweise bei verschiedenen ökologischen Maßnahmen im Wohnbau oder beim Ausbau von Barrierefreiheit der Fall. Nachfrage zu schaffen sei aber auch im Bereich der innovativen Forschung notwendig. Entsprechende Maßnahmenpakete werden derzeit in ihrem Ministerium ausgearbeitet, so Janisch.

Fixpunkte seien jedenfalls der Kampf gegen die Umwelt-und Klimakrise: „Es gibt keinen Widerspruch zwischen nachhaltigem Wirtschaftswachstum und dem Green Deal.“ Jetzt sei die richtige Zeit, um den Umbruch zu nutzen und den Transformationsprozess anzugehen: „Die Erstellung des Freiwilligen Nationalen Umsetzungsberichts Österreichs ist in sehr positiver Zusammenarbeit mit verschiedenster Stakeholdern, darunter der Zivilgesellschaft, passiert. Diesen Prozess wollen wir auch in Zukunft fortführen“.

Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien, sah dabei als eine der größten Herausforderungen der kommenden Monate „nicht auf die Schwächsten in der Gesellschaft zu vergessen". "Wir haben Sorge, dass die Gesundheitskrise von heute zur sozialen Krise von morgen wird. Wer wird die Sparpakete, die auf uns zukommen, tragen und wie kann verhindert werden, dass diese Sparpakete entgegen der SDGs Ungleichheiten verstärken?“, fragte Schwertner in die Runde. Eine Lösung sei nur innerhalb der Europäischen Union zu finden. Hier brauche es stärkere  europäische Solidarität.

Dem pflichtete Petra Bayr bei. Sparpakete dürften nicht jene treffen, die wirtschaftlich und sozial benachteiligt sind. Applaus alleine für Frauen* und Personen in „systemerhaltenden“ Berufen reiche nicht, so Bayr. Als konkrete Maßnahmen, um Österreich armutsfest zu machen, forderte Schwertner unter anderem mehr Mittel für Arbeitsmarkpolitik mit besonderem Schwerpunkt auf Jugendarbeitslosigkeit, Anreizsysteme für soziale Unternehmen sowie die Stärkung des Sozialstaates, der sich aktuell in der Krise bewährt.

Schritt für Schritt zur Erreichung der SDGs: Zeitplan, Monitoring, Transparenz

Zum Umsetzungsprozess der Agenda 2030 meinte Schwertner, dass die SDGs nicht als Utopie verstanden werden sollen, sondern heruntergebrochen werden müssen wie diese Schritt für Schritt zu erreichen sind. Dies betonte Thomas Alge von SDG Watch Austria auch in seinem Abschlussstatement: „Mit dem Freiwilligen Nationalen Umsetzungsbericht zur Agenda 2030 sind wir jedenfalls einen Schritt weiter. Was wir aber jetzt brauchen sind langfristige Strukturen und Prozesse für die SDG-Erreichung wie eine regelmäßige Berichterstattung an das Parlament, Nachhaltigkeitsprüfungen für konkrete Projekte und Maßnahmen sowie konsequente und transparente Entscheidungsprozesse unter Einbeziehung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.“

Wrap-up: Empfehlungen und Ausblick

Mag. Bernhard Zlanabitnig, MAS MSc: Empfehlungen und Ausblick

Bernhard Zlanabitnig, Leiter des EU-Umweltbüros und Mitbegründer von SDG Watch Austria, fasste die aus seiner Sicht wichtigsten Denkanstöße der Konferenz zusammen: „Der Stellenwert von Gesundheit als Menschenrecht muss gestärkt werden. Es braucht eine kohlenstofffreie, klimaneutrale Wirtschaft und kreislaufwirtschafts-orientierte Wertschöpfungsketten. Die Innovationskraft der heimischen Unternehmen bei gleichzeitiger Verringerung der Verwundbarkeit durch die Abhängigkeit von globalen Lieferketten müssen gestärkt werden. Es braucht dringende Klima- und Steuerreformen. Das BIP als (einzigen) Indikator für Wachstum muss überdacht werden und Transparenz und Mitsprache in allen Prozessen müssen gestärkt werden.” Weitermachen wie bisher sei jedenfalls keine Option mehr. "Was es jetzt braucht ist eine gleichwertige Beachtung und Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Aspekte bei politischen Entscheidungen wie ihn die Agenda 2030 vorsieht", so Zlanabitnig.

Zu dieser Überzeugung kamen auch die Teilnehmenden am Ende der Veranstaltung. Während in einer Online-Umfrage am Vormittag nur 69% (102 Personen) davon überzeugt waren, dass der Aufbau einer resilienten, nachhaltigen und krisensicheren Zukunft ohne Erreichung der Agenda 2030 und der SDGs nicht möglich sei, waren am Nachmittag 96% (86 Personen) der Meinung, dass die Agenda 2030 und die SDGs einen wichtigen Orientierungsrahmen für einen nachhaltigen Wiederaufbau bilden.

SDG Watch Austria wird sich auch in Zukunft dafür einsetzen, dass dieser Prozess strukturell verankert und die Agenda 2030 als Kompass aus der Krise und für die notwendige Transformation unserer Gesellschaft genützt wird. „Denn: Alles was denkbar ist, ist auch machbar“, hielt Zlanabitnig abschließend fest.

Weiterführende Informationen

Rückfragen & Details

Lisa Weinberger (ÖKOBÜRO - Allianz der Umweltbewegung)
Koordination für SDG Watch Austria
info@sdgwatch.at

Bilder und Videos: SDG Watch Austria/ÖKOBÜRO