Niemanden Zurücklassen! – Warum Frauen mit Behinderungen bei drei Jubiläen wenig zu feiern haben

Ein Beitrag von Magdalena Kern & Benedikt van den Boom (Licht für die Welt)

Am 9. März kommt die Weltgemeinschaft in New York zur 64. UNO-Frauenrechtskommission (CSW) zusammen. MinisterInnen, DiplomatInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft, auch aus Österreich, werden um neue Impulse zur Geschlechtergerechtigkeit ringen. Dabei besteht die Gefahr, dass bei drei zentralen Jubiläen im Jahr 2020 20 % aller Frauen vom Scheinwerfer der Öffentlichkeit ausgespart werden.

Drei Meilensteine für Frauen und Mädchen

Seit nun 5 Jahren schreibt die Agenda 2030 Geschlechtergerechtigkeit und Empowerment groß. Nicht nur im spezifischen Entwicklungsziel SDG 5, sondern quer durch die Agenda zieht sich der rote Faden der Frauenrechte. Das ist zweifelsohne eine wichtige Voraussetzung, um die Situation von Frauen und Mädchen weltweit zu verbessern. Neben eklatanten Finanzierungslücken und zu schwachen Fortschritten bei der Gleichstellung generell enthält SDG 5 jedoch einen verheerenden Geburtsfehler: Frauen und Mädchen mit Behinderungen bleiben in SDG 5 unerwähnt.

Vor 20 Jahren verabschiedete der UNO-Sicherheitsrat seine Resolution 1325 zum Schutz von Frauen in Konfliktsituationen. Dieser zentrale Text, der erstmals eine Genderperspektive auf Sicherheitsthemen einnimmt, schreibt zum Beispiel die Beteiligung von Frauen an Friedensverhandlungen vor. Österreich unterstützt die Resolution aktiv, es wird auch im neuen Regierungsprogramm darauf verwiesen. Im österreichischen Aktionsplan zu ihrer Umsetzung werden Frauen mit Behinderungen jedoch nur einmal erwähnt, konkrete Aktivitäten werden ihnen gar nicht zuteil.

Bereits 25 Jahre alt werden dieses Jahr die Pekinger Erklärung und die Aktionsplattform zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit. Bei der CSW-Sitzung werden, sicherlich auch mit österreichischer Vermittlung, die ersten Schritte für die Zukunft dieses richtungsweisenden Plans gehen. Aber auch darin sind bislang keine konkreten Punkte zur Verbesserung der Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu finden.

Vergleich der Beschäftigungsraten: 52,8 % der Männer mit Behinderungen, im Vergleich zu 19,6 % der Frauen mit Behinderung, haben einen Arbeitsplatz.

Beschäftigungsraten im Vergleich. Grafik: Light for the World (2020)

Unsichtbarkeit hat Folgen

Die Missachtung von Frauen mit Behinderungen im SDG 5 und seinen thematischen Vorläuferdokumenten hat direkte Auswirkungen. Jede fünfte Frau weltweit hat eine Form von Behinderung. Mehrfachdiskriminierung auf Basis von Geschlecht und Behinderung ist tägliche Realität. Die wenigen verfügbaren Studien zeichnen dazu ein klares Bild:

  • Nur 57 % der Mädchen mit Behinderungen weltweit haben zumindest einen Volksschulabschluss, im Vergleich zu 86 % der Mädchen ohne Behinderungen.
  • 45 % der Frauen mit Behinderungen weltweit können lesen und schreiben, im Vergleich zu 71 % der Frauen ohne Behinderungen.
  • Die Beschäftigungsrate für Frauen mit Behinderungen weltweit liegt bei 19,6 %, im Vergleich zu den ohnehin niedrigen 29,9 % für Frauen ohne Behinderungen.
  • 70 % aller Frauen mit Behinderungen haben in ihrem Leben Gewalterfahrungen gemacht. In Uganda waren laut einer Studie 24 % der Volksschülerinnen mit Behinderungen sexualisierter Gewalt ausgesetzt, doppelt so viele wie unter ihren Mitschülerinnen ohne Behinderungen.
  • Insbesondere in Konfliktsituationen oder in humanitären Krisen sind Frauen und Mädchen mit Behinderungen zusätzlichen Gefahren ausgesetzt und werden zugleich von bestehenden Unterstützungssystemen ausgeschlossen.

Behinderung hängt, insbesondere bei Frauen, gesellschaftlich mit Chancenungleichheit und Diskriminierung zusammen. Frauen und Mädchen mit Behinderungen ziehen den Kürzeren, wenn es um Ressourcenverteilung, Zugang zu Gesundheit und Bildung, Anerkennung ihrer Rechte und ihrer sexuellen sowie reproduktiven Rechte geht. Diese strukturelle Diskriminierung schlägt sich auch im Ausschluss von politischer Mitbestimmung nieder, was erneut zu Ausgrenzung und Unsichtbarkeit führt.

Vergleich von Alphabetisierungsraten. Männer ohne Behinderung: 82 %, Frauen ohne Behinderung: 71 %, Männer mit Behinderung: 61 %, Frauen mit Behinderung: 45 %

Der Vergleich von Alphabetisierungsraten zeigt drastische Unterschiede. Grafik: Light for the World (2020)

Verbesserte Umsetzung der SDGs

Umso wichtiger ist es daher, das Grundprinzip der SDGs – niemanden zurückzulassen – ernst zu nehmen und benachteiligte Gruppen nicht nur sichtbar zu machen, sondern ihre Mitsprache überall zu gewährleisten. Gerade im Jahr des ersten freiwilligen Berichtes Österreichs zur Umsetzung der SDGs ist dies auch ein Auftrag an die österreichische Regierung und die österreichische Entwicklungszusammenarbeit.

Genau jetzt ist der Moment, um die Marginalisierung von 20 % aller Frauen weltweit aufzubrechen und die wichtigsten Baustellen anzugehen:

  • Intersektional und inklusiv handeln: Auf Behinderung spezialisierte Ministerien, Sektionen und Stabsstellen werden oft als einzig richtiger Ort für Politik für Frauen mit Behinderungen erachtet. Solange dieser Denkfehler, im Widerspruch zur Intersektionalität der Agenda 2030, beibehalten wird, werden Frauen mit Behinderungen nie voll von SDG 5 profitieren können. Auch Instrumente wie die Resolution 1325 müssen explizit auf Frauen mit Behinderungen Bezug nehmen.
  • Keine weiteren Ausreden zur Datenlage dulden: Das Fehlen einer vernünftigen Datenlage zur Situation von mehrfachdiskriminierten Personen verhindert zielgerichtete Lösungsansätze. Es gibt bereits gute Statistikinstrumente wie die Washington Group of Questions. Diese müssen nur konsequent angewandt werden.
  • Expertise ernst nehmen und ermöglichen: Zu oft wird über statt mit Frauen und Mädchen mit Behinderungen gesprochen, Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen. Bei Veranstaltungen wie der CSW, aber auch dem SDG-Monitoring, muss sich dieses ändern. Die Kosten, die sich aus einem barrierefreien und gleichberechtigten Zugang zum politischen Diskurs ergeben, dürfen nicht zulasten von Frauen mit Behinderungen gehen.
  • Frauen mit Behinderungen am Verhandlungstisch: Mitsprache ist das beste Rezept für Chancengleichheit. Die Staatengemeinschaft muss die Belange von Frauen und Mädchen mit Behinderungen in der Fortführung des Pekinger Aktionsplans, in der Anwendung der Resolution 1325 und in der Umsetzung der SDGs aktiv mitdenken, einbringen und durchsetzen. Außerdem ist es ihre Aufgabe, Expertinnen mit Behinderungen einen Platz in allen Verhandlungen zu sichern.

Weiterführende Lektüre

Titelbild: Gregor Kuntscher, 2017

Sie lasen einen Beitrag von Licht für die Welt. Die darin enthaltenen Meinungen sind keine Positionen von SDG Watch Austria oder von ÖKOBÜRO als Medieninhaber.